Gott versteht Gebärden – Gehörlosenseelsorge

Die Orgel dröhnt. Die Lautsprecheranlage knackt. Die Predigt hallt durch das halbleere Kirchenschiff. Selbst für Menschen mit guten Ohren sind Gottesdienste oft ein akustischer Albtraum. Und wer dann im Alter ein bisschen schwerhörig geworden ist, hat in vielen Kirchen schlechte Karten. Ganz zu schweigen von denen, die gar nichts hören: Dem Pfarrer auf der Kanzel von den Lippen ablesen – dazu braucht es Geduld und Gottvertrauen. Zum Glück gibt’s Kirche extra für Menschen ohne funktionierendes Gehör: zum Beispiel in Witten. Ich habe dort für die WDR 5-Sendung Diesseits von Eden einen evangelischen Gehörlosengottesdienst besucht.

 

Redaktion: Wolfgang Meyer. Der Kontakt zu Pfarrer Hendrik Korthaus ist übrigens über den Fachbereich Seelsorge und Beratung zustande gekommen, für den ich gerade gemeinsam mit dem Filmemacher Lukas Raber eine Reihe von Imagefilmen produziere.

 


Weil Gehörlose mit so einem Audiofile natürlich nicht viel anfangen können, hier das Manuskript des Beitrags:

 

OT01 Hendrik Korthaus

Ok, herzlich willkommen! (danach unverständlich…)

 

Es ist zwecklos, die Ohren zu spitzen. Pfarrer Hendrik Korthaus ist schwer zu verstehen, denn er spricht sehr leise. Und er wird dabei auch noch von einem kleinen Jungen übertönt, der auf dem Boden spielt. Den zwölf Männern und Frauen, die den Worten des Pfarrers aufmerksam folgen , macht das überhaupt nichts aus. Denn sie können ihn sowieso nicht hören.

 

OT02 Hendrik Korthaus

Gut, und jetzt wir zusammen Gottesdienst feiern. Wir sind zusammen mit Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist.

 

Musik

 

Liturgie, Lesung, Predigt, Segen und Abkündigungen. All das vermittelt Pfarrer Korthaus in diesem Gehörlosengottesdienst in Gebärden. Während er gebärdet, spricht er die Worte manchmal laut mit – dann aber in der Grammatik der Gebärdensprache. Auch gemeinsame Lieder gibt es.

 

OT03 Hendrik Korthaus

Jetzt wir gebärden zusammen. Und alle kennen „Gott gebärdet gern“…

 

Musik

 

Einen Organist braucht diese Gemeinde nicht: Das Lied ist ein choreografierter Tanz mit den Händen. „Gott gebärdet gern“, so geht der Text, und weiter: „Er versteht die Gebärden.“ Der Satz lässt schmunzeln. Aber in ihm steckt ein Stück traurige Geschichte. Denn viele Jahrhunderte lang ging die Kirche davon aus, dass Gehörlose keinen Zugang zu Gott haben können. Der Grund waren Bibelverse wie dieser:

 

Sprecher

„Wer Gott zum Vater hat, hört, was Gott sagt. Aber ihr hört es nicht, weil ihr ihn nicht zum Vater habt.“

 

Hören ist Verstehen. Verstehen ist Glauben. So dachten die frühen Christen. „Wer nicht hören kann, kann daher auch nicht glauben“, soll der Kirchenlehrer Augustinus gesagt haben, der im 4. Jahrhunder lebte. Wer nicht hören kann, kann außerdem nur schwer sprechen lernen – Sprache aber galt als etwas Göttliches, das den Menschen vom Tier trennt. Gott will also – so predigte die Kirche – von Gehörlosen nichts wissen.

 

Musik

 

Im 16. Jahrhundert begannen Klöster vereinzelt, Gehörlose in Gebärdensprache zu unterrichten. Bis ins 20. Jahrhundert hinein war das Gebärden jedoch umstritten; erst in den 70er Jahren begannen die Kirchen, Gebärdensprache als vollwertige Sprache anzuerkennen. Heute ist klar: Im Gehörlosengottesdienst wird gebärdet – auch hinterher.

 

OT04 Hendrik Korthaus

Ja, und jetzt wünsche ich uns die drei Ks: K – Kaffee, K – Kuchen, Nummer drei: Kommunikation. Viel Spaß!

 

Kaffee, Kuchen, Kommunikation – für Gehörlose ist Kirche nicht einfach nur ein Ort der Besinnung. Sondern ein Treffpunkt mit einer wichtigen sozialen Funktion.

 

OT05 Hendrik Korthaus

Wir hörenden Menschen haben ja, sobald wir beim Bäcker sind oder einkaufen, oder selbst im Straßenverkehr, im Bus, haben wir Kommunikation. Für Gehörlose ist das nicht so. Blind sein trennt von Gegenständen, gehörlos sein von Menschen.

 

Atmo: Begrüßung

 

Wenn sich Gehörlose treffen, wird es daher erst Mal laut: Denn während sie gebärden, geben sie immer wieder Wörter und Satzfragmente von sich – natürlich, ohne sie selber zu hören. Ausdruck reiner Lebensfreude darüber, Menschen zu treffen, die man versteht und von denen man verstanden wird. Für Gehörlose ist das nicht selbstverständlich. Genauso wenig wie ein Pfarrer, der ihre Sprache spricht. Während er in Lautsprache übersetzt, gebärdet Hendrik Korthaus, und sein Gegenüber Kurt Tischer nickt bestätigend.

 

OT06 Hendrik Korthaus und Kurt Tischer

Kurt Tischer erinnert sich dran, dass es eigentlich keine richtige Gehörlosenkirche gab, sondern es war Samstagmorgens in der Gehörlosenschule. Warum ist das wichtig, dass Gehörlosen…? Kann ja auch sagen: Reicht, wenn ich zuhause bete, still? Ist nicht gut? Alleine ist es nicht gut. Für dich ist es wichtig, dass eine Gemeinschaft da ist, eine Gemeinschaft von Gehörlosen Personen, wo Kommunikation da ist. Und auch bei der Kirche ist es wichtig, nicht allein beten zuhause, reicht dir nicht. Ist schon wichtig, sich unter dem Kreuz zu versammeln und die Gemeinschaft zu haben.

 

Gemeinschaft miteinander und Gemeinschaft mit Gott – denn wie heißt es noch gleich? Gott gebärdet gern.